Erziehung zum Frieden

Schon seit Beginn der 30er-Jahre hat sich Maria Montessori ausführlich mit dem Thema Frieden und Erziehung beschäftigt. Wie aktuell diese Thematik bis zum heutigen Tag geblieben ist, zeigen nicht nur die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Welt, sondern auch die rassistischen Tendenzen in unserer Gesellschaft und das allgegenwärtige Thema „Gewalt“ in Schulen. Frieden ist keine ausschließlich politische Kategorie, die mit rein politischen Mitteln herbeigeführt werden könnte. Er ist auch nicht das Gegenteil von Krieg, weil dadurch die Ursachen des Krieges nicht beseitigt sind. Frieden ist eine sittliche Kategorie, deren Grundlage “Gerechtigkeit und (...) Liebe unter den Menschen” [64] ist. Deshalb gehört sie in den Aufgabenbereich der Erziehung und muss mit ihrem Aufbau bereits beim kleinen Kind begonnen werden. “Konflikte zu vermeiden”, sagt Montessori, “ist Werk der Politik; den Frieden aufzubauen, ist Werk der Erziehung” [65]. So betrachtet ist Friedenserziehung ein “Werk von universaler Tragweite”, das sich nicht auf Kinderhäuser und Schulen beschränken kann. [nach 66]

Wie kann Erziehung auf den Frieden vorbereiten? Montessori gibt darauf keine praktisch-anwendungsbezogene, sondern eine grundsätzliche Antwort. Ihrer Meinung nach kann eine “Erziehung, die den Frieden begründen soll, nicht nur in der Suche nach Mitteln bestehen, die das Kind der Suggestion des Krieges entziehen. Es würde (auch) nicht genügen zu vermeiden, dass sein Spielzeug Waffen simuliert”. Denn “die Menschen führen keinen Krieg, weil sie als Kind von einem Spielzeug beeinflusst wurden”. Ebenso wenig kann es genügen, “dem Kind Liebe und Respekt allen Lebewesen gegenüber (...) einzuflößen”. Denn “Menschen ziehen nicht in den Krieg, weil sie blutdürstig (...) [67] sind.

Friedenserziehung verlangt anderes. Sie fordert zuallererst den Respekt des Erwachsenen vor dem Kind, “denn das Kind ist unser Lehrmeister” [68], das wir nicht als “leeres Gefäß” betrachten dürfen, „welches angefüllt werden muss” [69] oder als “schwaches und schutzloses Wesen (...), das nur Schutz und Hilfe benötigt”, wo es doch “von Geburt an mit einem psychischen Leben begabt ist”, das über die Kraft verfügt, den “aktiven Aufbau der menschlichen Persönlichkeit” zu leisten [70].

Diese Sichtweise jedoch verlangt, “den Begriff der Erziehung radikal zu ändern” [71]. Statt beispielsweise dem Kind zu sagen: “Beeile dich mit dem Studium, du musst dieses Diplom erlangen ... du musst jenen Posten einnehmen ... wie sollst du sonst leben können?”, statt es “zur Isolierung und zum Kult der persönlichen Interessen” zu ermutigen; statt die Schüler zu lehren, “sich nicht gegenseitig zu helfen, dem, der etwas nicht weiß, nicht vorzusagen, sich nur um die Versetzung zu kümmern”; statt sie zu “armen Egoisten” zu erziehen, “die geistig müde” und unfruchtbare “Sandkörner in der Wüste” sind, müssen wir ihre Rechte anerkennen und ihnen eine “geeignete Welt vorbereiten, die (ihre) geistige Entwicklung garantiert” [72]. Darin sieht Montessori den einzigen “Weg zum Frieden”  [73].

Die Anerkennung der Rechte des Kindes bedeutet, das Kind als einen Menschen zu betrachten, “der seine eigene Würde hat, seine Rechte auf Leben und auf Schutz - nicht so sehr auf “Schutz für seine Schwäche (...), sondern für die grenzenlose Größe, die in ihm liegt” [74].

Damit schließt sich der Kreis: Friede ist nicht die Voraussetzung, sondern eine “natürliche Folge der richtigen Lebensform”  [75]. Diese wiederum ist eine Folge der rechten Umgebung, die dem Kind den Weg in die Unabhängigkeit und als weitere Folge zur Entwicklung seiner Individualität erschließt, welche die Voraussetzung für den Aufbau der Gesellschaft, letztlich für den “Organismus Menschheit” [76] ist. Beim Kind nimmt diese Bewegung ihren Anfang, sodass Montessori mit Recht sagen kann, “in ihm liegen der Ursprung und der Schlüssel der Rätsel der Menschheit” [77].

Religiöse Erziehung

Für Maria Montessori war es selbstverständlich, dass Kinder religiös erzogen werden sollen. Sie war selbst eine stark religiös geprägte Frau, für die Religion eine “Quelle und Stütze” des Lebens bedeutete. Ihrer Meinung nach hat jeder Mensch ein natürliches Bedürfnis nach Religion: “Wir müssen bedenken, dass Religion eine universale Empfindung ist, die in jedem Menschen existiert und existiert hat seit Beginn der Welt. Es ist nicht etwas, was wir dem Kind geben müssen”, vielmehr ist Religion etwas, “das im Innern jeder Seele ist”. “Wenn es nicht da wäre, könnten wir es nicht geben und wir könnten nicht helfen, dass es sich entwickelt” [78].

Die Aufgabe der religiösen Erziehung besteht für Montessori darin, das vorhandene religiöse Empfinden des Kindes weiterentwickeln zu helfen. “Gerade so, wie in jedem Menschen eine Tendenz gegeben ist, Sprache zu entwickeln, ist eine Tendenz gegeben, Religion zu entwickeln.” “Wir müssen sorgen, dass sie sich entwickelt” [79]. Der Weg, auf dem dies geschieht, ist derselbe wie der, auf dem auch die geistige Entwicklung des Kindes erfolgt: die “vorbereitete Umgebung”. Es ist Aufgabe der Erzieher, “für die rechte Umgebung zu sorgen” [80].

Deshalb ist es falsch, Religion “wie ein Fach unter anderen” zu behandeln. “Sie ist etwas viel Größeres und auch völlig anderes. Sie ist gerade kein Fach” [81], sondern die Verbindung von Spiritualität und Leben. Darum soll sie auch weniger gelehrt, als durch Teilhabe vermittelt werden. “Dabei muss man die Aktivität des Kindes einbeziehen! Denn es ist ja bewiesen, dass die Kinder sich am meisten interessieren, wenn sie aktiv mitarbeiten” [82] und wenn ihre Sinne angesprochen werden. “Farben, Klänge und Düfte” bereiten die Seele darauf vor, “das Verborgene zu empfangen” [83]. 

Kinder sollen also in erster Linie am religiösen Leben teilhaben: “Kein Platz ist zu heilig für Kinder” und kein Thema ist zu groß für sie [84]. Erst in zweiter Linie soll man ihnen Geschichten erzählen, etwa die “Geschichte von der Erschaffung der Welt” und die “Christgeburtsgeschichte” [85]. Und weshalb sollen Kinder nicht auch in die Vorbereitung der Gaben Brot und Wein einbezogen werden, etwa durch Anbau von Weizen und Keltern von Trauben [86]? So würde am besten “unser Ziel” erreicht werden, sagt Montessori, “die religiöse Erziehung in das tätige Leben des Kindes einzubeziehen” [87].

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