Sensible Phasen

Immer häufiger begegnet man in der neuesten entwicklungspsychologischen Literatur dem Begriff “sensible Phasen”. Gemeint sind Zeitspannen, in denen Kinder eine besonders hohe Bereitschaft und Fähigkeit für bestimmte Lerninhalte zeigen. Montessori hat diesen Begriff aus der Biologie entnommen und ihn in der Entwicklung des Kindes bestätigt gefunden.

Sie beschreibt das Phänomen so: Bei den sensiblen Perioden handelt es sich “um besondere Empfänglichkeiten, die in der Entwicklung, d.h. im Kindesalter der Lebewesen, auftreten. Sie sind von vorübergehender Dauer und dienen nur dazu, dem Wesen die Erwerbung einer bestimmten Fähigkeit zu ermöglichen. Sobald dies geschehen ist, klingt die betreffende Empfänglichkeit wieder ab. So entwickelt sich jeder Charakterzug aufgrund eines Impulses und während einer eng begrenzten Zeitspanne” [7].

Die Abfolge dieser Phasen folgt einer inneren Gesetzmäßigkeit. Bleibt einem Kind die Möglichkeit versagt, gemäß seiner inneren Regungen und Bereitschaft zu handeln, so hat es die Gelegenheit, sich auf natürliche Weise bestimmte Fähigkeiten anzueignen, für immer versäumt. Der Nachdruck liegt auf “natürliche Weise”; denn nachzuholen ist im Leben vieles, allerdings nicht mehr mit jener Leichtigkeit, ja Begeisterung und Vollkommenheit wie im Zeitraum der sensiblen Periode. Vieles, was wir später zu erlernen und uns anzueignen versuchen, ist deshalb mit großer Mühe, Anstrengung und Aufwand von Willenskraft verbunden, weil der optimale Zeitpunkt dafür versäumt worden ist.

Wenn nun die entsprechenden Fähigkeiten in den sensiblen Phasen errungen worden sind, so klingt die Begeisterung für sie ab. Jedoch entstehen neue Empfänglichkeiten, so dass das Kind von einer Eroberung zur anderen fortschreitet.
Damit bestimmen die inneren Empfänglichkeiten, was vom Kind aus der Vielfalt seiner Umwelt aufgenommen wird oder welche Situation für seine augenblickliche Entwicklung die vorteilhafteste ist. Die Empfänglichkeit ist die Ursache, weshalb das Kind gewisse Dinge interessant findet, sich für sie aufgeschlossen zeigt und andere ignoriert bzw. für sie kein Interesse empfindet. Werden aber die Bedürfnisse des Kindes befriedigt, so äußert sich dies in Form von seelischer Ausgeglichenheit und Zufriedenheit.
Montessori gebraucht einen Vergleich, um das besondere Wirken der Empfänglichkeitsperioden näher zu umschreiben: “Sobald eine solche Empfänglichkeit in der Seele des Kindes aufleuchtet, ist es, als ob ein Lichtstrahl von ihr ausginge, der nur bestimmte Gegenstände erhellt, andere hingegen im Dunkel lässt. Die ganze Wahrnehmungswelt des Kindes beschränkt sich dann mit einem Male auf diesen einen hell erleuchteten Bezirk” [8].

Darum muss man mit besonderer Sorgfalt auf die Zeichen achten, die eine Phase der Empfänglichkeit andeuten. Sie zeigen sich in Form eines lebhaften Bedürfnisses, sich mit bestimmten Dingen und Situationen zu beschäftigen.
 

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